Ursberger Gebärden
Meinungen zu den Ursberger Gebärden
Kathrin Weiß
Verena Vischer
Familie Bruggner
Petra Schöpf
Geschichte
Im Jahre 1880 wurde im 2. Mailänder Kongress die Gebärdensprache an den Taubstummenschulen verboten wurden, da man dachte, dass die Verwendung von Gebärden die Lautsprachentwicklung verhindern würde. Heute weiß man, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Der Erwerb von Gebärden fördert und stützt den Lautspracherwerb. Dies belegen mittlerweile zahlreiche Untersuchungen und Studien aus Amerika.
Erstmalig fand im Kloster Ursberg "Taubstummenunterricht statt". Die Ordensschwestern der St. Josefskongregation nahmen sich der Menschen mit Hörschädigung an und begannen diese zu unterrichten.
Bei der Gründung der "Taubstummenschule" in Ursberg im Jahre 1896 bemerkten die Ordensschwestern die mehrfachbehinderte Menschen unterrichteten, dass ohne Gebärden, also nur über die Lautsprache und dem damit verbundenen Lippenablesen viel zu wenig Informationen an die SchülerInnen weitergegeben werden konnten. Die SchülerInnen wurden ohne Gebärden an ihrer kognitiven Entwicklung regelrecht gehindert statt gefördert. So entwickelten die Ordensschwestern eigene Gebärdenzeichen und benutzten diese für den Unterricht.
Anhand eines alten Fotobuchs wird deutlich, wie findig die Schwestern damals vorgingen. Um die Bewegung der Gebärde sichtbar und für LehrerInnen und SchülerInnen verständlich machen zu können, wurden Fotos vor einer Wandtafel gemacht, auf welcher exakt positionierte Pfeile aufgezeichnet waren, die die auszuführende Bewegung andeuten, da eine digitale Nachbearbeitung mit Bewegungspfeilen zur damaligen Zeit noch nicht möglich war. Viele der damaligen Gebärden haben sich bis heute erhalten und entsprechen zum Teil auch der Deutschen Gebärdensprache.
Heute gehört das alte Fotobuch zu einem der wertvollsten Schätze des Dominikus-Ringeisen-Werks in Ursberg. Trotz des Verbots zu gebärden, haben sich die Ursberger Ordensschwestern für das Wohl ihrer SchülerInnen eingesetzt und damit gegen die rechtliche Ordnung. Unter dem Leitsatz: "Jeder Mensch ist kostbar" begleitet das Dominikus-Ringeisen-Werk Menschen mit Behinderung. In Ursberg ist das Dominikus-Ringeisen-Werk Träger von vier Förderzentren. Eines davon, verantwortlich für die Ursberger Gebärden, ist die Franz-von-Sales-Schule, ein Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt Hören und weiterer Förderbedarf.
Am 1.Mai 2002 kam es schließlich zur politischen Anerkennung der deutschen Gebärdensprache als vollständiges Symbolsystem. Die Ordensschwestern in Ursberg waren ihrer Zeit also um über 100 Jahre voraus.
Das Ursberger Gebärden Buch Band 1 ist als Nachschlagewerk und als Instrumentarium zur Erstellung von Unterrichtsmaterial für die LehrerInnen des Förderzentrums Hören in Ursberg entstanden. Mit den Gebärdenbildern haben auch Kinder, die nicht lesen können, die Chance, sich auszudrücken und Geschriebenes zu verstehen. Bei der Erstellung der Bücher wurde auf den Fundus der Ursberger Klosterschwestern zurückgegriffen und deren festgehaltenes Wissen herangezogen.
Das Arbeitsteam, welches für die Entwicklung der Ursberger Gebärden Band 1 und 2 zuständig war, setzt sich aus den Personen Brigitte Lang (Auswahl und Beschreibung der Gebärden), Marlies Sieber (Fotografin und digitale Nachbereitung der Gebärdenbilder), Anika Geray (finale Überprüfung) und Ingrid Steinle (welche die Bücher in Druckform gebracht hat) zusammen.
Im Frühjahr 2021 erschien der dritte Band der Ursberger Gebärden mit zahlreichen Gebärden für den Werkunterricht, Hauswirtschaftsunterricht, für die Berufsschulstufe, die Werkstatt und Förderstätte. Das Arbeitsteam setzt sich zusammen aus Miller Maria (Fachdienst WfbM), Fissahn Andrea (Fachdienst für Gebärden und Kommunikation), Däxle Brigitte (damalige Einrichtungsleitung für betreute Wohngruppen), Marlies Sieber (Zuständig für Fotos, Bewegungspfeile und das Einfügen der Beschreibungen), Ingrid Steinle (Zuständig für das Layout) und Brigitte Lang (Schulleitung der Franz von Sales - Schule)
Das Buch "Ursberger Gebärden 2023" erschien im Jahr 2023 und beinhaltet die gängigen Gebärden für den Unterricht bei mehrfachbehinderten, hörgeschädigten SchülerInnen. Es löst die Gebärdenbücher "Band 1" aus dem Jahr 2006 und "Band 2" aus dem Jahr 2013 ab. Die Gebärden aus diesen Büchern wurden in diesem Band zusammengefasst, erweitert und sofern für mehrfachbehinderte, hörgeschädigte SchülerInnen möglich, an die deutsche Gebärdensprache (DGS) angepasst.
Das Arbeitsteam des Gebärdenbuchs setzt sich zusammen aus, Lang Brigitte, Vischer Verena, Vogg Patricia und Weiß Kathrin, welche für den Inhalt, die Texte und Bilder verantwortlich waren. Sieber Marlies, welche als Fotografin sowie für das Einfügen der Texte und Bewegungspfeile zuständig war. Als auch Steinle Ingrid, die das Layout des Buches gestaltete.
Das macht die Ursberger Gebärden aus
Unsere Gebärdenbücher enthalten einen umfangreichen Gebärdenwortschatz unter besonderer Berücksichtigung der jahrzehntelangen Erfahrungen mit mehrfachbehinderten, hörgeschädigten Menschen im Dominikus-Ringeisen-Werk in Ursberg. Die Bücher wurden als Hilfe zur Kommunikation entwickelt und finden sich mittlerweile auch in Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung wieder.
Ursberger Gebärden sind den besonderen Bedürfnissen von Menschen mit keiner oder geringer Lautsprachkompetenz angepasst. Im Gegensatz zu anderen Gebärdensprachen, bei denen minimale Unterschiede gänzlich andere Bedeutungen ausmachen, enthalten die Ursberger Gebärden die notwendigen Bewegungsvereinfachungen und bieten zusätzliche Berührungspunkte am Körper. Selbst für Kinder mit kognitiven Einschränkungen sind die Ursberger Gebärden gut zu merken. Grund dafür sind die zusätzlichen Anlegestellen der Gebärden am Körper, sodass sie nicht nur gesehen, sondern auch gespürt werden können.
Ursberger Gebärden eigenen sich nicht nur für hörgeschädigte, sondern auch für Menschen mit zusätzlichem Förderbedarf im kognitiven und motorischen Bereich. Die Sprachzeichen können selbst von kleinen Kindern schnell und sicher erfasst werden, da sie Handlungen und Gegenstände nachbilden. Die Ursberger Gebärden ermöglichen so einen raschen Einstieg in die Kommunikation.
Aufgrund verschiedenster positiver Resonanzen haben sich die Ursberger Gebärden schnell weit über den Raum Ursberg hinaus verbreitet. Besonders in Förderzentren mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung werden Gebärden häufig zur Unterstützung und Begleitung der Lautsprache angeboten. Ausgehend von der Idee, unseren SchülerInnen am Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt Hören und weiterer Förderbedarf die Möglichkeit zu geben, zu kommunizieren, auch wenn ihnen die Lautsprache fehlt oder sie nur schwer verstanden werden können, helfen die Ursberger Gebärden mit ihrem riesigen Wortschatz heute auch nicht-hörgeschädigten Menschen überregional aus ihrer Isoliertheit. Kommunikation für alle zu ermöglichen, das ist unser Bestreben!